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Die Tuchfabrik der Familie Kirbach

In seinem im Jahre 1889 erschienenen Buch „Nachrichten über Hainichen und nächste Umgebung“ schreibt der damalige Hainichener Pfarrer Dr. phil. Eduard Otto Külz: “Zu den ältesten Tuchmacherfamilien unserer Stadt, welche seit langer Zeit, zum Teile über 300 Jahre, hier ansässig sind, gehören Kirbach und andere mehr.“ Der älteste uns bekannte Tuchmachermeister dieses Namens ist der im Jahre 1746 geborene Johann Paul Kirbach, Bürger und Tuchmacher in Hainichen. 

 

Als Datum für die Gründung seiner Firma wird der 1. Oktober 1789 angenommen, da das älteste vorhandene Geschäftsbuch mit diesem Datum – das war zugleich der Tag der Michaelismesse in Leipzig – beginnt. Im Jahre 1842 übernehmen die Enkel des Gründers, August Wilhelm, Ernst Adolph und Friedrich August Kirbach das zu einer angesehenen Wollwarenfabrik gewordene Unternehmen und firmieren unter dem Namen P. Kirbach & Söhne in Hainichen.


Zunehmend kommt es in den folgenden Jahren zu Differenzen zwischen den Brüdern. Der in der Textilbranche steigende Konkurrenzdruck, auch verursacht durch den Siegeszug mechanischer Textilmaschinen, wird von Jahr zu Jahr größer. August Wilhelm Kirbach scheidet deshalb am 31.12.1858 aus dem Familienunternehmen aus.


Friedrich August Kirbach ist nun gemeinsam mit Bruder Ernst Adolph Inhaber der Firma. Er sucht nach neuen Geschäftsfeldern. Seinen Lebensweg wollen wir weiter verfolgen. Zu dieser Zeit betreibt im Tal der Großen Striegis in Pappendorf in der so genannten „Niedermühle“ der Müller Christian Friedrich Pönisch eine Mahl- und Schneidemühle mit dazu gehöriger Landwirtschaft. Es ist nicht sicher belegbar, aber angeblich gibt es hier seit 1670 eine Mühle.


Pönisch hat den Betrieb im Jahre 1832 – er ist damals gerade 23 Jahre alt – für 5.000 Taler von seinem Stief- und Pflegevater Johann Gottlieb Felgner gekauft. Ein Jahr später heiratet er und in den folgenden 18 Jahren bringt seine Ehefrau Christiane Juliane elf Kinder zur Welt. So ist es für ihn ein schwerer Schlag, als sie im Jahre 1853 – das jüngste Kind ist erst ein Jahr alt – an Lungenentzündung stirbt.


Hier in der Niedermühle in Pappendorf findet im Jahre 1857 Friedrich August Kirbach das, wonach er seit langem sucht. Zusammen mit dem ebenfalls als Wollwarenfabrikant in Hainichen ansässigen Christian Wilhelm Bernhardt überredet er Pönisch, ein Spinnereigebäude mit dazu gehörigem Wasserrad als Antriebsaggregat für die geplanten Spinnmaschinen zu errichten.


Das Wasser der Striegis ist in dieser Zeit des Übergangs von der Handarbeit zur industriell-maschinellen Produktion ein nicht zu unterschätzendes Kapital. Kirbach und Bernhardt gewähren Pönisch ein Darlehen und richten nach Fertigstellung des Gebäudes als Pächter eine Spinnerei ein. Sie gründen die Firma Kirbach & Bernhardt in Pappendorf.


Der aus dem Jahre 1858 darüber bestehende Pachtvertrag ist zugleich die Geburtsurkunde der Kirbachschen Unternehmungen auf Pappendorfer Flur. Pönischs Wunsch, seinen Besitz an seinen Schwiegersohn Carl Adolph Moritz Eckardt zu übertragen, geht leider nicht in Erfüllung. Der aus einfachen Verhältnissen aus Mobendorf kommende junge Mann, seit 1859 mit Pönischs Tochter Henriette verheiratet, arbeitet bei Bernhardt & Kirbach als Spinnmeister. Ihm fehlt aber ganz einfach das Geld, um des Schwiegervaters Besitz übernehmen und die sieben noch lebenden Geschwister seiner Frau auszahlen zu können. Moritz Eckardt kauft 1876 den Pappendorfer Gasthof und baut nach dessen Wiederverkauf im Jahre 1892 das Haus, heute Hauptstraße 38, in dem er die erste Postagentur Pappendorfs eröffnet. So betreibt Christian Friedrich Pönisch, unterstützt durch einige seiner Kinder, weiter seine Mahl- und Schneidemühle.

 

1864 stellt er den Betrieb endgültig ein. Zwei Jahre später im Jahre 1866 verkauft er seinen gesamten Besitz an Friedrich August Kirbach für 19.500 Taler. Zum mit übergebenen Inventar gehören unter anderem zwei Pferde, vier Kühe, ein Kalb, zwei Schweine, 15 Scheffel Hafer, 5½ Scheffel Kartoffeln und 2¾ Schock Stroh – die Landwirtschaft ist also noch fester Bestandteil des Unternehmens. Erst nach und nach wird sie von den neuen Besitzern aufgelöst, da Pferde weiterhin das einzige Transportmittel für den Warenumschlag sind. 

 

Jahre später werden die betriebseigenen Flächen an ortsansässige Landwirte verpachtet. F. A. Kirbach, bereits im 62. Lebensjahr stehend, wohnt jedoch weiterhin in Hainichen in seinem Haus in der Dammstraße. Er ist ein tüchtiger Kaufmann. Aus einem Schreiben an das Konsulat der Vereinigten Staaten in Dresden können wir entnehmen, dass er bereits im Jahre 1863 Handelsbeziehungen mit Amerika unterhält.


Im Jahre 1870 steigt Christian Wilhelm Bernhardt aus dem Betrieb aus. Die Firma Kirbach & Bernhardt in Pappendorf wird im Handelsregister gelöscht. Im gleichen Jahr werden Friedrich August Kirbachs Söhne Wilhelm Richard und Hermann Julius Mitinhaber der Firma ihres Vaters, der Firma P. Kirbach & Söhne in Hainichen.

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Vater Friedrich August scheidet noch 1870 aus dem Unternehmen aus und zieht sich ins Privatleben zurück. In Pappendorf gründen die Brüder eine offene Handelsgesellschaft, die Gebrüder Kirbach, Spinnereigeschäft in Pappendorf. Hier beginnt nun eine rege Bautätigkeit. In kurzer Zeit entstehen das so genannte „Herrenhaus“ und das Wohn und Lagerhaus an der Westseite nahe der Striegis. 1891 folgt das neue Webereigebäude.

 

Schrittweise werden die geschäftlichen Aktivitäten von Hainichen nach Pappendorf verlagert. Das Haus in der Dammstraße wird allmählich zum „Zweigwerk.“ Aus der anfänglichen Spinnerei ist durch die Einrichtung von Weberei und Appretur eine Tuch- und Flanellfabrik geworden. Zahlreiche neue Arbeitsplätze sind entstanden. Sehr bald erweist sich die aus dem Wasser der Striegis gewonnene Antriebsenergie für den aufstrebenden Betrieb als unzureichend. So entsteht in den Jahren 1872/73 das Heizhaus mit einem neuen Dampfkessel zum Antrieb einer Dampfmaschine mit einer Leistung von 25 PS (18,4 KW).


Sie treibt nun unabhängig vom Wasserstand der Striegis zuverlässig die Maschinen an. Auf Drängen des Königlich-Sächsischen Amtsgerichtes wird im Jahre 1889 im Handelsregister Pappendorf als Firmensitz eingetragen, da in Hainichen keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit mehr nachweisbar ist. Aus der Pappendorfer Spinnerei und der Hainichener Tuchfabrik wird nun auch juristisch die Firma P. Kirbach & Söhne Pappendorf. Dieser neue Firmenname wird bis zum Jahre 1972, also 83 Jahre lang, Bestand haben.


Im Jahre 1891 erreicht die praktische Anwendung der Elektrizität, zunächst nur für Beleuchtungszwecke, die Flanellfabrik im Striegistal. Ein durch die Wasserkraft der Striegis - vorerst noch mit einem Wasserrad - angetriebener Gleichstromgenerator („Dynamomaschine vom System Lahmeyer“) mit einer Spannung von 65 Volt speist in den Betriebs- und Wohnräumen circa 200 Glühlampen. Parallel dazu dient eine Akkumulatorenbatterie zur Pufferung bei hohem Leistungsbedarf, in der lastschwachen Zeit wird sie wieder aufgeladen. Das Wasserrad wird 1904 durch eine Wasserturbine ersetzt. Als Pappendorf im Jahre 1911 an das überregionale Energieversorgungsnetz angeschlossen wird, halten auch Elektromotoren als Antriebsaggregate im Betrieb Einzug.


Die Elektrifizierung des Dorfes führt schließlich auch zu der Überlegung, eine elektrische Straßenbeleuchtung zu installieren. Nach längerer Diskussion lehnt der Gemeinderat aus Kostengründen ab. Da greift Wilhelm Richard Kirbach ein. Er stiftet 3.000 Mark mit der Maßgabe, einen Teil davon für den Aufbau der Anlage zu verwenden und mit den Zinsen des verbleibenden Teiles die Betriebs- und Wartungskosten in den folgenden Jahren zu finanzieren. Sehr rege nehmen die Brüder Kirbach am kommunalpolitischen Leben im Dorf Anteil. Während Hermann Julius etwa zehn Jahre als Gemeindeältester und Vorsitzender des Schulausschusses amtiert, gehört Wilhelm Richard 17 Jahre dem Gemeinderat an.

 

Zahlreiche Ratsprotokolle aus ihrer Feder sind bis in unsere Tage erhalten geblieben. Hermann Julius Kirbach wird vom Schicksal hart geprüft. Seine erste Ehefrau stirbt, erst 33 Jahre alt, im Jahre 1868 an einem Lungenleiden. Ihr folgt 1879 der erst 17 Jahre alte Sohn Paul, das einzige Kind der Kirbachs. Eine Tochter aus zweiter Ehe lebt nur wenige Wochen. Hermann Julius resigniert. Er kann kein rechtes Ziel mehr für sein berufliches Streben erkennen. Im Jahre 1888 verkauft er seinen Anteil am Betrieb für 41.700 Mark an Bruder Wilhelm Richard und verlegt seinen Wohnsitz als „Privatmann“ wieder nach Hainichen.


Nach dem Ausscheiden des Bruders nimmt der nunmehr alleinige Inhaber Wilhelm Richard Kirbach seinen 23 Jahre alten Sohn Friedrich Wilhelm Richard als Prokurist in die Firma auf. 1896 erhebt er ihn zum Teilhaber. Im gleichen Jahr wird der seit längerer Zeit im Unternehmen tätige Theodor Barthel zum Prokuristen ernannt.


Nach einem erfolgreichen unternehmerischen Berufsleben – 44 Jahre stand er an der Spitze der Kirbachschen Fabrik in Pappendorf – scheidet Wilhelm Richard Kirbach, im 73. Lebensjahr stehend, aus dem Betrieb aus. Am 9. April 1912 stirbt er in Pappendorf und wird in der Kirbachschen Familiengruft auf dem Friedhof beigesetzt. Er hinterlässt bleibende Spuren in der Fabrik und im Dorf.


Damit ist sein einziger Sohn Friedrich Wilhelm Richard, inzwischen mit der Tochter des Besitzers der Stadtbrauerei Hainichen, Amalie geb. Klein, verheiratet, alleiniger Inhaber. Die Erzeugnispalette des Betriebes, jahrzehntelang vorwiegend aus Flanell und Barchent (Baumwollflanell) bestehend, verändert sich mit der Änderung der Bedürfnisse der Menschen und der daraus resultierenden Anforderungen der Kirbachschen Kunden aus der verarbeitenden Wirtschaft.


Hochwertige Kleider- und Mantelstoffe bestimmen zunehmend das Sortiment. In allen deutschen Regionen und in zahlreichen europäischen Ländern zeugen sie vom Fleiß und von der Tüchtigkeit der Tuchmacher aus dem Striegistal. F. W. R. Kirbach leidet an einer Herzkrankheit, die ihn immer wieder zu Heilbehandlungen zwingt. Im Jahre 1920 stirbt er, erst 55 Jahre alt, während eines Kuraufenthaltes in Bad Elster. Seine Witwe Amalie, auf deren Schultern nun die alleinige Verantwortung für den Betrieb und die inzwischen circa 100 Mitarbeiter zählende Belegschaft lastet, führt das Unternehmen allein weiter. Ihre einzige Tochter Susanne, verheiratet mit dem Besitzer der Weber-Mühle in Braunsdorf an der Zschopau, wohnt nicht mehr in Pappendorf und kann sie nur bedingt unterstützen.


1929 wird schließlich der seit längerer Zeit im Betrieb tätige Fabrikdirektor William Habicht zum Prokuristen ernannt. Er wird die Geschicke des Unternehmens etwa 30 Jahre lang maßgeblich beeinflussen und gestalten. Am 1. Oktober 1939 wird das 150-jährige Firmenjubiläum festlich begangen. Die wieder erstarkte deutsche Wirtschaft sorgt auch in der Tuchfabrik im Striegistal für ausreichend Aufträge und Lohn und Brot für die Belegschaft. Kirbachsche Mantel-, Anzug- und Kleiderstoffe sind bekannt und gefragt. Regelmäßige Besuche der Leipziger Messe sorgen für Lieferungen in das Ausland. Weiterhin wird Stoff für Verbandsmaterial für die Wehrmacht hergestellt. Der bald darauf beginnende Krieg geht auch an der Pappendorfer Tuchfabrik nicht spurlos vorbei. Nahezu alle Männer werden zur Wehrmacht eingezogen.


Während im Jahre 1939 noch 112 Mitarbeiter genannt werden, sind es zwei Jahre später nur noch 82. Davon kommen 49 aus Pappendorf, zehn aus Berbersdorf, vier aus Reichenbach, drei aus Hainichen, zwei aus Ottendorf, zwei aus Kaltofen, drei aus Goßberg, zwei aus Schmalbach, vier aus Mobendorf und jeweils einer aus Crumbach, Falkenau und Arnsdorf. Endlich, im Mai 1945, schweigen die Waffen. Zum Glück haben unsere abseits der großen Hauptkampflinien gelegenen stillen Dörfer keine nennenswerten materiellen Schäden zu beklagen. Sehr viel größer ist das menschliche Leid.


Fast in jedem Haus haben gefallene oder vermisste Väter oder Söhne schmerzliche Lücken hinterlassen. Zahlreiche Heimatvertriebene aus den deutschen Ostgebieten und aus dem Sudetenland finden hier eine erste – oft sehr notdürftige – Unterkunft. Es mangelt an allem, vorrangig aber an Kleidung und Nahrung. Amalie Kirbach, eine bescheidene und einfache, bereits im 78. Lebensjahr stehende Frau, hilft, so gut sie kann. Aus im Betrieb noch vorhandenen Stoffen lässt sie Kleidung für Flüchtlingskinder anfertigen, Weihnachtsgeschenke und Lebensmittel werden in bescheidenem Maße verteilt.


Zwei Aquarelle eines unbekannten Malers zeigen den Bauzustand des Kirbachschen Grundstücks vor 1860

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Nach wie vor werden Mantel- und Anzugstoffe hergestellt, der Bedarf ist groß. Allmählich erholt sich die Wirtschaft im Lande und Wolfgang Weber erkennt rechtzeitig, dass der Betrieb mit seinem bisherigen Sortiment der Konkurrenz auf Dauer nicht mehr gewachsen ist. Also sucht er nach neuen Geschäftsfeldern. Schrittweise führt er die Herstellung von Schlafdecken ein, die bis zur Schließung des Betriebes im Jahre 1990 dominieren wird.

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Im Jahre 1952 stirbt Amalie Kirbach im Alter von fast 85 Jahren in Pappendorf, sie hat ihren Ehemann um 32 Jahre überlebt. Ihre Erben sind ihre Tochter Susanne sowie deren drei Söhne Wolfgang, Hans-Joachim und Rolf. Sie lösen die bisherige Einzelfirma auf und gründen eine Kommanditgesellschaft. Im Jahre 1960 beginnt die Reglementierung des Betriebsgeschehens durch den Staat über eine so genannte „staatliche Beteiligung“, die Vorstufe zur Verstaatlichung. Der bisherige Betriebsleiter nennt sich nun „Komplementär“. Der Betrieb firmiert unter P. Kirbach & Söhne KG Pappendorf.
 

Die sich zuspitzende Abschottung der DDR führt 1961 zum Bau der Mauer in Berlin und zur völligen Schließung der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland und damit zur westlichen Welt. Wolfgang Weber, der sich zu dieser Zeit mit seiner Familie im Urlaub in Bremen befindet, kommt nicht wieder zurück. Neuer Leiter des Betriebes wird der Dipl.-Ing. Manfred Hunger. Leitbetrieb des Unternehmens ist der VEB Technische Textilien Meerane.
 

Mittlerweile besteht die Produktion ausschließlich aus Schlafdecken. Sie werden für das Deutsche Rote Kreuz, die Deutsche Reichsbahn, die Nationale Volksarmee und den Bevölkerungsbedarf hergestellt. Im Zeitraum von 1961 bis 1972 erhöht sich die Anzahl der hergestellten Decken von 65.000 auf 73.000. Im Betrieb werden als hochwertige Erzeugnisse eine Flauschdecke und eine Reisedecke (Reiseplaid) entwickelt und hergestellt. Als einer der wenigen Betriebe seiner Branche verfügt die P. Kirbach & Söhne KG über die gesamte Herstellungslinie von der Rohwolle bis zum fertigen Erzeugnis.
 

Wolferei, Krempelei, Spinnerei, Zwirnerei, Spulerei, Schärerei, Weberei, Ausnäherei (Beseitigung von Webfehlern), Wäscherei, Rauherei, Näherei, Packraum und
Versand muss das Erzeugnis durchlaufen, bevor es zum Kunden auf die Reise geht. Färbarbeiten führt in Kooperation der VEB Plüschweberei Hainichen aus. 1968 verlässt Manfred Hunger den Betrieb. Sein Nachfolger wird Jochen Wolf. Kaufmännischer Leiter ist zu dieser Zeit – bereits seit 1960 – der gebürtige Pappendorfer Textilkaufmann Günther Held, der kurz danach Pappendorf verlässt. Als Jochen Wolf 1971 aus dem Betrieb ausscheidet, tritt Brigitte Süß seine Nachfolge an. Es beginnt das letzte Jahr der P. Kirbach & Söhne KG. Der gnadenlose Kampf gegen das Privateigentum führt 1972 zur Verstaatlichung vieler Privatbetriebe in der DDR.
 

So wird aus der Deckenfabrik im Striegistal der VEB Wolldecke Pappendorf.

 

Durch die Staatsorgane wird Rainer Krämer als Betriebsleiter eingesetzt. Er leitet den Betrieb bis zur endgültigen

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Schließung im Jahre 1990. Im Jahre 1975 werden 100.000 Decken hergestellt. Zur Verarbeitung kommen Schurwolle, Zellwolle, Reißwolle und Wolpryla. Die Schaffung immer größerer Wirtschaftseinheiten führt 1975 zur Angliederung des Unternehmens an den Leitbetrieb VEB Vereinigte Grobgarnwerke Kirschau (VEGRO) in der Lausitz. Zur gleichen Zeit werden zwei weitere Betriebe dem Pappendorfer Werk als Produktionsstätten unterstellt. Es handelt sich dabei um die ehemalige Firma Krondorf & Metzler in Rosswein, die, etwa gleich gelagert wie der Pappendorfer Betrieb, mit zirka 50 bis 60 Mitarbeitern hochwertige Schlafdecken herstellt. Die ehemalige Firma Schwarzbach in Altmittweida fertigt mit zirka 40 Arbeitskräften Handtücher, Scheuertücher sowie Stoffe zur Herstellung von Fackeln.
 

Insgesamt sind in diesen drei Produktionsstätten 204 Mitarbeiter beschäftigt. In Pappendorf erreicht die Anzahl der jährlich hergestellten Decken inzwischen 110.000, die unter anderem in die UdSSR, nach Äthiopien und nach Ghana exportiert werden. Neben dem Werkleiter Rainer Krämer fungieren als Produktionsleiter Johannes Schwarzbach, als kaufmännischer Leiter Lothar Heymann und als technischer Leiter Albrecht Fröbel. Als Produktionsstättenleiter sind in Pappendorf Frau Elke Krumbiegel, in Rosswein Wilhelm Krondorf und in Altmittweida Frau Ch. Schwarzbach im Amt. Die letzen Meister in der Pappendorfer Betriebsgeschichte sind Werner Kowalewski in der Krempelei/Spinnerei, Klaus Heymann in der Weberei und Dietmar Gabsch in der Fertigmacherei.


Dann kommt das Jahr 1990. Die politische Wende in der ehemaligen DDR und die Angleichung der Wirtschaft an marktwirtschaftliche Verhältnisse bewirken – gewollt oder ungewollt – den Zusammenbruch zahlloser Betriebe im Osten Deutschlands. Der lautstarke Ruf nach der West-Mark tut ein Übriges. Im gleichen Jahr endet unwiderruflich die Deckenproduktion in Pappendorf. Für die Erzeugnisse aus dem Striegistal besteht kein Bedarf mehr, die Konkurrenz der moderneren Betriebe in den westlichen Ländern geht als Sieger aus diesem ungleichen Kampf hervor.


In den folgenden Jahren gibt es einige schüchterne Versuche, die Betriebsräume wieder mit Leben zu erfüllen. So wird unter anderem versucht, die Produktion hochwertiger Lodenfilze zur Herstellung von Trachtenbekleidung zu installieren, leider ohne Erfolg. Alle Versuche scheitern am fehlenden Geld. Mögliche Investoren stoßen sich neben der ungünstigen Verkehrsanbindung an der verbauten Gebäudesubstanz und am überalterten Maschinenpark. Einige Maschinen werden demontiert und nach Polen verkauft. So bleibt lediglich die Nutzung der Wohnungen erhalten, allerdings auch mit zunehmendem Leerstand.
 

Im August des Jahres 2002 werden beim großen Hochwasser in Sachsen – Experten sprechen vom Jahrhunderthochwasser – auch die Striegistäler heimgesucht. In der Nacht vom 12. zum 13. August richten die Fluten der Großen Striegis unvorstellbare Verwüstungen an. Das Betriebsgelände einschließlich der Wohnungen ist am Morgen des 13. August ohne Strom und ohne Trinkwasser. Noch wohnen aber 5 Familien in den Gebäuden. Die das Objekt verwaltende TLG (Treuhandliegenschaftsgesellschaft) Leipzig lehnt jede größere finanzielle Aufwendung zur Wiederherstellung der Bewohnbarkeit ab. Die Familien müssen ihr Heim – für sie ein Stück Heimat – verlassen. Drei Familien – Herbert Rößger, Ines Weidenbecher und Siegfried Wolf – finden in Pappendorf, zwei weitere – Liselotte Thieme und Udo Weidenbecher – in Hainichen eine neue Bleibe.
 

Zunehmend macht sich in den leer stehenden Gebäuden Vandalismus breit. Es wird sinnlos zerstört, was noch ganz ist. Bald bietet sich nur noch ein Anblick maßloser Zerstörung. Abriss ist die einzige sich noch bietende Alternative.

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Nun beginnt ein längerer Kompetenzstreit zwischen dem letzten Besitzer, der Treuhandliegenschaftsgesellschaft, und der in Sachsen für die Beseitigung der Hochwasserschäden zuständigen Behörde mit Namen WASA (WiederAufbau-Stab Augusthochwasser). Zunächst will keine der beiden Behörden zuständig sein. Der Hartnäckigkeit des Striegistaler Bürgermeisters Bernd Wagner ist es schließlich zu danken, dass die WASA die für den Abriss erforderlichen finanziellen Mittel bereitstellt. Damit beginnt das letzte Kapitel einer 333 jährigen Müllerei- und Industriegeschichte im Tal der Großen Striegis. Die Baufirma Püschmann aus Lugau im Erzgebirge geht schließlich als Sieger aus der Ausschreibung hervor. Dagegen Seriosität und Leistungsstärke des Unternehmens keine Bedenken bestehen, wird ihm der Zuschlag erteilt. Im Juli 2003 beginnen die Abrissbagger, im Striegistal ihr Lied zu singen. Gebäude für Gebäude fällt, von interessierten Heimatfreunden und einigen langjährigen Mitarbeitern der Firma mit der Kamera und ein wenig Wehmut begleitet.

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Als der Herbst den Wald in der Talaue und an den Hängen des Striegistales in seine bunten Farben taucht, hat die Natur zurückerhalten, was ihr im harten Existenzkampf in Jahrhunderten abgerungen wurde. 

 

Still fließt die Striegis in ihrer Ursprünglichkeit durch die nun völlig veränderte Landschaft, ein neues Kapitel im Geschichtsbuch unserer Heimat beginnt.
 

Franz Schubert
Quelle: Striegistal-Boten vom März und April 2005